Ankommen

Jede Geschichte des Ankommens ist abhängig davon, wie man hergekommen ist: Allein oder mit der Familie, mit viel oder wenig Geld und mit oder ohne Kontakten am neuen Ort. Es kann schön sein, nach einer Reise endlich an einem Ort zu sein, an dem man  längere Zeit bleiben kann. Besonders, wenn man sich schon länger darauf vorbereitet hatte.

Wenn Menschen sich an einem neuen Ort wohlfühlen, kann die erste Zeit voller Entdeckungen und neuer Möglichkeiten sein. Neue Freundschaften können entstehen. Gleichzeitig ist Ankommen mit Schwierigkeiten verbunden. Heimweh und Sorgen um Freunde und Familienmitglieder, die anderswo sind, kennt jeder Mensch. Außerdem kann es an einem neuen Ort schwierig sein, wenn man die Landessprache nicht spricht. Dann ist es besonders schwer, sich zu orientieren und sich zugehörig zu fühlen. Leider gehören diese Erfahrungen zum Ankommen dazu und auch hier macht jeder Mensch ganz verschiedene Erfahrungen.

Dazugehören und in Sicherheit sein
Husseins Erfahrungen

„Zu dem Wort „Ankommen“ fällt mir ein, dass ich schon wusste, dass ich jetzt in einem neuen Land bin und alles wieder anfangen muss. Vor allem die Sprache zu lernen und dann mich irgendwie in dieser Gesellschaft zu integrieren. Entweder schnell einen Job finden oder versuchen zur Uni zu gehen und zu studieren.“

Integrieren:Integrieren kommt von dem Wort Integration. Das heißt, dass jemand Teil einer Gruppe wird. Hussein meint damit, dass er sich in der neuen Gesellschaft, in der er jetzt lebt, einfinden möchte und sich den neuen Gegebenheiten anpasst. Hierfür möchte er unter anderem die deutsche Sprache lernen. Andere wichtige Aspekte bei der Diskussion über Integration sind Bildung, Arbeit und Teilhabe an der Gesellschaft.
Persönliches Foto von Hussein

„Dieses Foto habe ich gleich als ich in Griechenland angekommen bin gemacht. Am Strand. Ich war total glücklich, weil hier habe ich gemerkt, dass ich ab jetzt ein neues Leben anfangen kann. In der Türkei war das nicht klar, und wenn du auf dem Meer bist auf dem Boot, weißt du nicht, ob du das noch schaffen kannst. Nur wenn du zu diesem Punkt ankommst. Solange du noch auf dem Meer bist, hast du immer Angst und, wie gesagt, du bist dir nicht sicher, ob du überlebst. Das Meer ist nicht so sicher und das Wetter auch nicht. Das war so richtig gefährlich. Alle Leute im Boot haben gebetet, dass wir das schaffen und das Wetter gut bleibt. Viele Kinder haben auch gleich geweint. Und wenn du hier [Strand von Griechenland] bist, denkst du: „Ja, ich habe überlebt. Ich hab das geschafft.“ Hier waren alle sehr, sehr glücklich. Menschen haben geweint weil sie das geschafft haben. Deswegen finde ich, das ist das beste Foto von der Reise.“

Griechenland: Die meisten Geflüchteten kamen und kommen auf schwierigen Wegen nach Europa. Einer davon führt über die Türkei nach Griechenland. Griechenland gehört zu Europa, wo viele Geflüchtete einreisen wollen. Dabei muss ein Teil des Mittelmeeres überquert werden. Diesen Weg ist Hussein auf seiner Flucht nach Europa gegangen. Wenn Geflüchtete in Griechenland ankommen, werden dort ihre Daten aufgenommen und sie können einen Asylantrag stellen. Andere versuchten von dort aus, in andere Länder zu reisen, beispielsweise nach Deutschland. Dabei sind sie über die sogenannte Balkanroute gegangen. Dies ist eine Route vom Nahen Osten nach Europa. Über diesen Weg sind in den Jahren 2015 und 2016 viele Geflüchtete nach Europa gekommen. Um diese Einwanderung zu reduzieren, haben einige europäische Staaten beschlossen, die Einreise über die Balkanroute stärker zu kontrollieren. Aktuell kommen nur noch wenige Geflüchtete auf dieser Route nach Europa. Hussein kam auf diese Weise nach Deutschland.
Meer: Von der türkischen Küste ist die Strecke auf dem Mittelmeer nach Griechenland relativ kurz. Wenn Hussein vom Meer spricht, meint er das Mittelmeer. Doch obwohl der Weg über das Mittelmeer im Vergleich zu anderen kurz ist, ist er sehr gefährlich. Die meisten Geflüchteten müssen dafür viel Geld bezahlen und fahren in überfüllten Schlauchbooten über das Mittelmeer.
Boot: Die Boote, mit denen Geflüchtete über das Mittelmeer fahren, sind meist zu klein für so viele Menschen und für so lange Strecken über das Meer nicht ausgelegt. Oft gehen sie deshalb kaputt und kentern, wobei schon Tausende Geflüchtete gestorben sind. Geflüchtete sind aber darauf angewiesen, diese Fluchtwege auf sich zu nehmen, wenn sie nach Europa kommen wollen. Sie können nicht einfach in ein Flugzeug steigen und beispielsweise nach Deutschland fliegen. Dafür bräuchten sie ein Visum, also die Erlaubnis überhaupt nach Deutschland einreisen zu dürfen. In Syrien, das Land, aus dem Hussein kommt, können Menschen aber kein Visum mehr bekommen. Dort herrscht Krieg und die Stellen, die eines ausstellen könnten, sind dazu nicht mehr in der Lage. Deshalb können Geflüchtete nicht nach Europa fliegen, sondern müssen die gefährlichen Wege über das Mittelmeer auf sich nehmen. Außerdem sind an die Erteilung eines Visums bestimmte Bedingungen geknüpft die Schutzsuchende häufig nicht erfüllen können.

Die Ankunft in Westberlin
Erfahrungen von Michael

„Ich hatte in Westberlin schon diverse Freunde, ehemalige Leute aus der DDR und Westdeutsche. Deswegen war schnell klar, dass ich bei Freunden wohnen konnte. Ich habe dann zuerst in Kreuzberg in einer WG gewohnt. Das war für mich etwas völlig Neues. Unglaublich beeindruckend war für mich zu sehen wie sie zusammengewohnt haben. Wie gesagt, ich kannte so etwas nicht. Das war eine Vierer-WG, so wie man sich eine WG halt vorstellt, aber für mich war es eben was Neues. Ich kann mich erinnern, dass wir am ersten Tag losgegangen sind, die Bergmannstraße runter. Und wie so ein Depp stand man vor den Schaufenstern. Wir waren dann in der Kneipe und ich sollte mich für ein Bier entscheiden. In der DDR gab es das nicht, da hast du ein Bier gehabt und dann war’s gut. Da standen dann 20 Sorten Bier und ich dachte nur, ja ich nehme hier irgendwas. Es war glaube ich schon so, dass mich das überfordert hat.“

DDR und Westdeutsche: Außer Michael verließen noch viele andere Menschen Ostdeutschland. Für die westdeutsche Politik war die Teilung Deutschlands nur vorübergehend. Deshalb gab es in Westdeutschland keine DDR-Bürger. Menschen wie Michael waren dort Deutsche. Sie hatten wenige Probleme bei der Aufnahme und bekamen einen westdeutschen Pass.
WG: Als Michael nach Westdeutschland kam, musste er sich trotzdem erst mal an die neue Umgebung gewöhnen. Er wohnte in einer Wohngemeinschaft zusammen mit Freundinnen und Freunden.

„Was für mich außerdem sehr beeindruckend war, dass von den Leuten unwahrscheinlich viel darauf geachtet wurde, wie es mir geht. Das man wirklich darauf beharrte hat, und fragte: „Was ist denn los, wie geht es dir?“ Das kannte ich aus der DDR nicht unbedingt. Da gab es immer diese Verschlossenheit und Skepsis, wem kann ich überhaupt noch was erzählen. Ich glaub auch, dass ich recht viele Jahre noch Alpträume hatte. Ich hatte zum Beispiel unglaubliche Angst, dass ich nochmal zur Armee muss. Denn wieder zur Reserve einberufen zu werden bedeutete immer, dass dein Ausreiseantrag wieder von vorne anfing. Das war dieser elendige Kreislauf, der für mich sicher noch zwei bis drei Jahre in meinen Träumen präsent war.“

Armee: Das Militär hieß in der DDR „Nationale Volksarmee“ (NVA). Alle männlichen DDR-Bürger mussten verpflichtend 18 Monate zur NVA gehen.

„Zu meiner Ankunft habe ich noch ein Bild im Kopf. Nachdem ich mich verfahren hatte, kam ich am U- Bahnhof Mehringdamm an, dort sollte ich abgeholt werden. Am U-Bahnhof stand oben auf der Treppe ein Typ und meinte: „Ey willst’n Schluck Vodka?“ Das war sehr schräg, aber ein schöner Moment, an den ich immer wieder zurückgedacht habe.“

Michael lebt immer noch in Berlin. Er hat seit langem eine Wohnung in Kreuzberg, nicht weit von der U-Bahnstation „Mehringdamm“ wo er vor mehr als 30 Jahren angekommen ist.

Familie und  Identität
Erfahrungen von Maria

„In unserem Haus sind wir die einzigen Spätaussiedler, die anderen Bewohner sind Deutsche. Als wir eingezogen sind, gab es Probleme. Wir sind nicht gut angenommen werden. Wir wohnen hier seit 17 Jahren und nun sagen uns alle ‚Hallo‘ und ‚Tschüss‘. Wir sind mit unseren Nachbarn nicht befreundet, aber dass sie uns irgendwie bedrängen, kann ich nicht sagen.“

„Als wir dort gewesen sind, haben wir deutsche Lieder gehört, jetzt sind wir hier und hören gerne russische Lieder. Wie kann man uns verstehen? (lacht) Wer sind wir? Wir sind niemand, ohne Heimat, ohne Vaterland. Dort waren wir „Faschisten“, hier sind wir „russische Schweine“. (lacht) Sogar meine Tochter fragt mich: „Mutter, wer ich bin?“ Na, was kann ich ihr antworten?“

Wer sind wir?: In ihrer ehemaligen Heimat, zum Beispiel der Sowjetunion wurden viele Spätaussiedler oft wegen ihrer deutschen Herkunft unterdrückt. Während des Zweiten Weltkriegs wurden sie deportiert, aber auch später wurde die Benachteiligung fortgesetzt. So gab es zum Beispiel keine Schule mit deutscher Unterrichtssprache. Doch auch in Deutschland fühlen sie sich nicht immer willkommen und völlig angenommen, denn hier sind sie ebenfalls Fremde. Die Fragen „Wer bin ich?“ und „Wohin gehöre ich?“ sind deshalb für viele Spätaussiedler schwer zu beantworten.

Unsere Interviewpartnerin und Interviewpartner


Michael Peters, Jahrgang 1960, verließ mit 26 Jahren die DDR. Nach seiner Ankunft arbeitete er als Elektroinstallateur und war in der Westberliner Häuserbewegung aktiv. Peters lebt heute in
Kreuzberg.


Hussein hat seine  Heimatstadt Damaskus, Syrien, im Herbst 2015 verlassen.  In seinem Interview erzählt er, was Ankommen für ihn bedeutet und wie schwierig es manchmal sein kann, sich an einem fremden Ort ein neues Leben aufzubauen. Zurzeit wohnt und arbeitet Hussein in Berlin.


Maria, Jahrgang 1959, hat Kasachstan im Winter 1997 mit ihrer Tochter verlassen. Nach der Ankunft wurde sie in Deutschland als Spätaussiedlerin anerkannt. Zurzeit wohnt und arbeitet Maria in Berlin.