Erste Eindrücke

Einfach formuliert, bezeichnet der Begriff Migration Bewegungen von Menschen zu anderen Orten, mit dem Ziel, ihr Leben dorthin zu verlegen. Zumindest für eine gewisse Zeit. Manche Menschen nehmen dabei ihre Familie mit, andere gehen allein. Und – was oft vergessen wird – Migrieren bedeutet nicht unbedingt, eine Landesgrenze zu überqueren. Selbst der Umzug in einen Nachbarort kann als Migration bezeichnet werden. Die Hoffnung der meisten migrierenden Menschen ist, ein besseres Leben woanders zu finden oder einer schlimmen Situation zu entkommen und – vielleicht auch nur vorübergehend – Schutz zu finden. Trotzdem können die Gründe dafür, an einen anderen Ort zu ziehen, unterschiedlich sein. Aus den unterschiedlichsten Erfahrungen ergeben sich sehr verschiedene Geschichten. Die schlimmste Erfahrung ist meistens, nicht willkommen zu sein und ausgeschlossen zu werden. Das kann überall passieren. Ankommen ist in vielen Fällen eine Erfahrung mit gemischten Gefühlen, also auch mit guten.

Sprachliche Barrieren
Husseins Erfahrungen

„Ich kann nicht sagen, dass es so schwierig war. Das war eigentlich ok für mich, weil ich schon andere Sprachen gelernt habe wie Französisch und Englisch und als ich nach Deutschland gekommen bin, habe ich gleich einen Sprachkurs besucht und davor schon versucht alleine zu lernen. Als wir im Camp waren gab es ein paar Bücher und ich habe auch durch das Internet angefangen ein paar Worte zu lernen, gerade die wichtigen Worte. Also für mich persönlich war es wie gesagt nicht so schwierig, ich hatte davor auch schon ein paar Freunde in Deutschland, sie haben mir auch geholfen beim Lernen und beim Büchersuchen. Ich hatte also schon Glück.“

Sprachkurs: Wenn man in Deutschland ankommt und die Sprache nicht spricht, ist es empfehlenswert und wichtig die deutsche Sprache so schnell wie möglich zu lernen. Deutschland fördert dieses Sprachenlernen und bietet Asylbewerbern aus Ländern, in denen es gerade sehr gefährlich ist für Menschen zu leben (z.B. Menschen aus Ländern wie Syrien, Eritrea, Irak, Iran, Somalia, etc.) kostenfreie Integrationskurse an. Diese bestehen aus zwei Einheiten: Sprachkurs und Orientierungskurs. Als Asylbewerber kann man einen Antrag zur Zulassung zum Integrationskurs beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) stellen. In vielen Fällen ist die Teilnahme an Sprachkursen auch verpflichtend und die Anmeldung zu den Kursen muss unbedingt erfolgen. In den Integrationskursen lernen Schülerinnen und Schüler auch viel über die Geschichte von Deutschland. Um den Geschichtsunterricht spannend zu machen, entscheiden sich manche Lehrerinnen und Lehrer einen Ausflug zur Erinnerungsstätte Notaufnahmelager Marienfelde zu machen, weil man in der Ausstellung vor Ort viel über die Geschichte der deutschen Teilung (Link zum Gloassar) lernen kann und gerade über das Thema Flucht nach Deutschland viele interessante Ausstellungsstücke sehen kann.
Camp: Am 4. September 2015 entschied die Bundesregierung unter Bundeskanzlerin Angela Merkel, dass tausende in Ungarn gestrandete Geflüchtete nach Deutschland einreisen dürfen und ihre Asylanträge von der Bundesrepublik übernommen und geprüft werden. Seitdem sind viele weitere Geflüchtete nach Deutschland gekommen, wobei die Zahlen seit Anfang 2017 wieder weniger werden. Die Bundesländer und Städte mussten nach der Entscheidung vom September 2015 jedenfalls schnell reagieren, um den vielen neu ankommenden Menschen Unterkünfte und Schlafplätze anbieten zu können. Es wurden Schulen und Turnhallen in Notunterkünfte umgewandelt und mit Betten und sanitären Anlagen ausgestattet. Viele Leute wurden auch in Zeltlagern und anderen leerstehenden Gebäuden untergebracht. Hussein selbst kam im Oktober 2015 nach Deutschland und lebte in Sachsen unteranderem in einem Schulgebäude, was er hier als Camp beschreibt.

Erfahrungen mit Ausgrenzung
Husseins Erfahrungen

„Ganz am Anfang – aber das hab ich nie in Berlin erlebt, nur in Sachsen – haben Leute Witze gemacht, oder lachten über uns, oder haben den Mittelfinger gezeigt. Manche waren nicht so nett und das war sehr schwierig, weil ich hab das auch nicht verstanden. Dann haben manche uns erklärt, dass viele Menschen eine Demo gemacht haben, weil sie wollten gar nicht, dass Flüchtlinge in dieses Dorf kommen. Als wir gekommen sind, waren sie dann komisch. Ich war neu da und das war schlimm. Warum? Ich habe mich gefragt, warum die Leute so etwas machen. Was habe ich schon falsch gemacht? Ich habe nichts falsch gemacht. Ich war ganz neu hier und ganz allein, ja und das war schon sehr schwierig. Das habe ich in Berlin aber noch nie erlebt.“

Demo: „Demo“ ist die Kurzform des Wortes Demonstration. Dabei handelt es sich um eine Versammlung von Menschen, die ein politisches Anliegen formulieren und öffentlich vortragen. Nachdem im Sommer 2015 viele Geflüchtete nach Deutschland gekommen sind, kam es an vielen Orten zu rassistischen Demonstrationen, die gegen die Unterbringung von Geflüchteten protestierten.
Sachsen: Vor allem im Bundesland Sachsen kam es 2015 und kommt es auch heute noch zu vielen solcher Proteste, sowohl in Städten als auch in kleinen Orten. Teilweise ging dabei von den Demonstrantinnen und Demonstranten Gewalt gegen Geflüchtete aus. Beleidigungen, wie Hussein sie hier beschreibt, gehören für viele Geflüchtete zum Alltag.

Konsum im Westen
Michaels Erfahrungen

„Was für mich interessant war, war zu sehen, dass es vielen ehemaligen DDR-Bürgern sehr schnell andere Dinge wichtig waren. Da ging es darum die größte Schallplattensammlung zu haben, ein dickes Auto zu haben und in Bordelle zu gehen. Das war so meins überhaupt nicht. Der Beweggrund für mich die DDR zu verlassen war, mich einfach mit Sachen beschäftigen zu können, Bücher zu lesen, Reisen zu wollen, mich politisch zu interessieren. Das war in der DDR so nicht möglich und das waren für mich die Hauptbeweggründe wegzugehen.“

Beweggrund: Es gab ganz verschiedene Gründe für das Verlassen der DDR: Manche wollten bei ihren Familien sein. Andere gingen weil sie andere Vorstellungen von Politik hatten. Viele wollten auch kulturelle und persönliche Freiheiten, die es Zuhause nicht gab.

„Ich wusste natürlich, dass der Kapitalismus nicht das Nonplusultra ist. Das Auseinanderdifferenzieren unter den Ausgereisten hat bei mir auch dazu geführt, dass ich mit vielen, vielen Leuten die ich aus der DDR kannte nichts mehr zu tun haben wollte. Weil mir ihr politischer Werdegang und ihre Denkweise widerstrebt haben. Weil so viele Sachen, zum Beispiel Rassismus, hier nochmal stärker zu Tage gekommen sind.“

Kapitalismus: Damals gab es in einigen Bezirken in Westberlin viel Freiheit in Kunst und Politik. Ein Teil der Menschen dort wollte nicht wie im Sozialismus in Ostdeutschland leben, aber auch nicht so wie im Kapitalismus im Westen. In Westberlin konnten sie ein ganz anderes Zusammenleben ausprobieren.
Auseinanderdifferenzieren: Die Menschen, die aus der DDR nach Westdeutschland kamen, waren sehr unterschiedlich. Viele hatten andere politische Ansichten und Vorstellungen vom Leben als Michael. Er wollte gerne Interessen wie Reisen und Lesen nachgehen. Anderen Menschen ging es um beruflichen Erfolg und Wohlstand.

Schwierigkeiten eines Neubeginns
Marias Erfahrungen

„Ich bin mit einem kleinen Kind angekommen, kein Geld, keine Sachen, nichts. Ich hatte 20 kg Gepäck mit, was konnte ich darin mitnehmen? Die Wohnung in Kasachstan habe ich für 1000 DM verkauft und während ich neue Sachen und meinem Kind alles für die Schule gekauft habe, habe ich das ganze Geld ausgegeben. Und wenn du alleine bist, wenn du niemanden hast, den du um Hilfe fragen kannst… Meine Verwandten waren auch sehr beschäftigt, hatten ihre eigenen Probleme. Es ist schwierig, aus dem Nichts zu beginnen, wenn du nicht einmal Löffel und Gabel hast. Aber wir haben das geschafft.“

aus dem Nichts zu beginnen: Für Aussiedler aus der ehemaligen Sowjetunion gab es bis zum Ende der 1980er Jahre ein Ausreiseverbot. Als das Verbot aufgehoben wurde und die Menschen nach Deutschland ausreisen konnten, nutzten viele Menschen diese neue Möglichkeit. Viele Spätaussiedler, darunter auch Maria, verkauften ihre Häuser und strömten in die Heimat ihrer Vorfahren in der Hoffnung auf ein besseres Leben.

„Anfangs hatte ich natürlich Heimweh, obwohl meine ganze Familie schon hier war. Alles war neu, fremd. Du weißt nicht, wohin du gehen sollst, wie um Hilfe bitten… Das war sehr schwierig. Alle diese Anträge, Verträge… mein Gott, jeden Tag war der Briefkasten voll! Und die Hauptsache ist, dass man alles richtig ausfüllt. Wenn ein Buchstabe falsch ist, ist die Bedeutung schon anders. Wir haben das auch überwunden, mit Hand- und Wörterbüchern, aber immerhin.“

Anträge, Verträge: Obwohl die Spätaussiedler nach Deutschland kommen, weil sie als deutsche Volkszugehörige gelten, müssen sie sich trotzdem in einer Umgebung einleben, in der ihnen vieles fremd ist. Dabei stoßen sie auf ähnliche Eingliederungsprobleme in Arbeitsmarkt und Gesellschaft wie andere Zuwanderer. Wie Maria erzählt, ist zum Beispiel der Umgang mit Behörden, Banken oder Versicherungen oft schwierig.

Unsere Interviewpartnerin und Interviewpartner


Michael Peters, Jahrgang 1960, verließ mit 26 Jahren die DDR. Nach seiner Ankunft arbeitete er als Elektroinstallateur und war in der Westberliner Häuserbewegung aktiv. Peters lebt heute in
Kreuzberg.


Hussein hat seine  Heimatstadt Damaskus, Syrien, im Herbst 2015 verlassen.  In seinem Interview erzählt er, was Ankommen für ihn bedeutet und wie schwierig es manchmal sein kann, sich an einem fremden Ort ein neues Leben aufzubauen. Zurzeit wohnt und arbeitet Hussein in Berlin.


Maria, Jahrgang 1959, hat Kasachstan im Winter 1997 mit ihrer Tochter verlassen. Nach der Ankunft wurde sie in Deutschland als Spätaussiedlerin anerkannt. Zurzeit wohnt und arbeitet Maria in Berlin.