Einfach formuliert, bezeichnet der Begriff Migration Bewegungen von Menschen zu anderen Orten, mit dem Ziel, ihr Leben dorthin zu verlegen. Zumindest für eine gewisse Zeit. Manche Menschen nehmen dabei ihre Familie mit, andere gehen allein. Und – was oft vergessen wird – Migrieren bedeutet nicht unbedingt, eine Landesgrenze zu überqueren. Selbst der Umzug in einen Nachbarort kann als Migration bezeichnet werden. Die Hoffnung der meisten migrierenden Menschen ist, ein besseres Leben woanders zu finden oder einer schlimmen Situation zu entkommen und – vielleicht auch nur vorübergehend – Schutz zu finden. Trotzdem können die Gründe dafür, an einen anderen Ort zu ziehen, unterschiedlich sein. Aus den unterschiedlichsten Erfahrungen ergeben sich sehr verschiedene Geschichten. Die schlimmste Erfahrung ist meistens, nicht willkommen zu sein und ausgeschlossen zu werden. Das kann überall passieren. Ankommen ist in vielen Fällen eine Erfahrung mit gemischten Gefühlen, also auch mit guten.
Sprachliche Barrieren
Husseins Erfahrungen
„Ich kann nicht sagen, dass es so schwierig war. Das war eigentlich ok für mich, weil ich schon andere Sprachen gelernt habe wie Französisch und Englisch und als ich nach Deutschland gekommen bin, habe ich gleich einen Sprachkurs besucht und davor schon versucht alleine zu lernen. Als wir im Camp waren gab es ein paar Bücher und ich habe auch durch das Internet angefangen ein paar Worte zu lernen, gerade die wichtigen Worte. Also für mich persönlich war es wie gesagt nicht so schwierig, ich hatte davor auch schon ein paar Freunde in Deutschland, sie haben mir auch geholfen beim Lernen und beim Büchersuchen. Ich hatte also schon Glück.“
Erfahrungen mit Ausgrenzung
Husseins Erfahrungen
„Ganz am Anfang – aber das hab ich nie in Berlin erlebt, nur in Sachsen – haben Leute Witze gemacht, oder lachten über uns, oder haben den Mittelfinger gezeigt. Manche waren nicht so nett und das war sehr schwierig, weil ich hab das auch nicht verstanden. Dann haben manche uns erklärt, dass viele Menschen eine Demo gemacht haben, weil sie wollten gar nicht, dass Flüchtlinge in dieses Dorf kommen. Als wir gekommen sind, waren sie dann komisch. Ich war neu da und das war schlimm. Warum? Ich habe mich gefragt, warum die Leute so etwas machen. Was habe ich schon falsch gemacht? Ich habe nichts falsch gemacht. Ich war ganz neu hier und ganz allein, ja und das war schon sehr schwierig. Das habe ich in Berlin aber noch nie erlebt.“
Konsum im Westen
Michaels Erfahrungen
„Was für mich interessant war, war zu sehen, dass es vielen ehemaligen DDR-Bürgern sehr schnell andere Dinge wichtig waren. Da ging es darum die größte Schallplattensammlung zu haben, ein dickes Auto zu haben und in Bordelle zu gehen. Das war so meins überhaupt nicht. Der Beweggrund für mich die DDR zu verlassen war, mich einfach mit Sachen beschäftigen zu können, Bücher zu lesen, Reisen zu wollen, mich politisch zu interessieren. Das war in der DDR so nicht möglich und das waren für mich die Hauptbeweggründe wegzugehen.“
„Ich wusste natürlich, dass der Kapitalismus nicht das Nonplusultra ist. Das Auseinanderdifferenzieren unter den Ausgereisten hat bei mir auch dazu geführt, dass ich mit vielen, vielen Leuten die ich aus der DDR kannte nichts mehr zu tun haben wollte. Weil mir ihr politischer Werdegang und ihre Denkweise widerstrebt haben. Weil so viele Sachen, zum Beispiel Rassismus, hier nochmal stärker zu Tage gekommen sind.“
Schwierigkeiten eines Neubeginns
Marias Erfahrungen
„Ich bin mit einem kleinen Kind angekommen, kein Geld, keine Sachen, nichts. Ich hatte 20 kg Gepäck mit, was konnte ich darin mitnehmen? Die Wohnung in Kasachstan habe ich für 1000 DM verkauft und während ich neue Sachen und meinem Kind alles für die Schule gekauft habe, habe ich das ganze Geld ausgegeben. Und wenn du alleine bist, wenn du niemanden hast, den du um Hilfe fragen kannst… Meine Verwandten waren auch sehr beschäftigt, hatten ihre eigenen Probleme. Es ist schwierig, aus dem Nichts zu beginnen, wenn du nicht einmal Löffel und Gabel hast. Aber wir haben das geschafft.“
„Anfangs hatte ich natürlich Heimweh, obwohl meine ganze Familie schon hier war. Alles war neu, fremd. Du weißt nicht, wohin du gehen sollst, wie um Hilfe bitten… Das war sehr schwierig. Alle diese Anträge, Verträge… mein Gott, jeden Tag war der Briefkasten voll! Und die Hauptsache ist, dass man alles richtig ausfüllt. Wenn ein Buchstabe falsch ist, ist die Bedeutung schon anders. Wir haben das auch überwunden, mit Hand- und Wörterbüchern, aber immerhin.“
Unsere Interviewpartnerin und Interviewpartner
Michael Peters, Jahrgang 1960, verließ mit 26 Jahren die DDR. Nach seiner Ankunft arbeitete er als Elektroinstallateur und war in der Westberliner Häuserbewegung aktiv. Peters lebt heute in
Kreuzberg.
Hussein hat seine Heimatstadt Damaskus, Syrien, im Herbst 2015 verlassen. In seinem Interview erzählt er, was Ankommen für ihn bedeutet und wie schwierig es manchmal sein kann, sich an einem fremden Ort ein neues Leben aufzubauen. Zurzeit wohnt und arbeitet Hussein in Berlin.
Maria, Jahrgang 1959, hat Kasachstan im Winter 1997 mit ihrer Tochter verlassen. Nach der Ankunft wurde sie in Deutschland als Spätaussiedlerin anerkannt. Zurzeit wohnt und arbeitet Maria in Berlin.